Arbora von Silberhain

Vor Jahrhunderten begab es sich,
dass im Schutze Silberhains
morgendlich ein Kind geboren.
Ward zum Zentrum allen Seins.

Voll Freude jubeln Elf und Faun.
Des Kindes Auge waldgrün glimmt,
genannt Arbora, wie der Baum.
Gar Großes war ihr vorbestimmt.

Im Alter von sechs Jahresläufen
die Eltern fielen in der Schlacht.
Das Volk, beschützend, hütend, trug sie,
und bannt’ ihr so die finstre Nacht.

„Von Silberhain“ ward sie genannt,
denn sie wurd’ nun vom Volk erzogen.
Lernt’ jagen, kämpfen, Kräuter kennen.
Der Wald, so schien’s, war ihr gewogen.

Von Neugier stets war sie getrieben,
strich wild und frei durch grünen Wald.
Obwohl das Herz im Hain verblieben,
zur Stell’ wenn laut das Horn erschallt.

Sie war gerecht und sprach die Wahrheit,
urteilte bei Unrecht und Intrigen hart.
Zu jenen aber, die die Wahrheit säten,
war sie gar freundlich, sogar zart.

An ihrem zehnten Namenstag
ein Schrei durchzuckte Wald und Feld.
Das Kind, bewusstlos lag’s im Bette,
es schien gar schlimm um sie bestellt.

Als sie erwacht’ nach vierzehn Tagen,
ein Jubeln durch die Siedlung ging,
doch die Ältesten erahnten,
ein Schatten ihre Seele fing.

Das Kind, es sprach von großen Schwingen,
der grüne Wald verbrannt zu Staub,
von Krallen scharf und lang wie Klingen,
eine Stadt der Flammen Raub.

Doch keiner wollt’ dem Kinde glauben,
das Untier einem Traume glich.
Und unter grünen Blätterlauben
die Vorsicht bald der Freude wich.

Dann, grad war sie zwanzig Lenze alt,
mit großem Schrecken und mit Staunen,
die Nachricht laut im Hain erschallt.
Das Volk vernahm’s mit finst’rem Raunen:

Nachricht vom Drachen, groß und gräulich,
die ew’ge Stadt im Feuersbrand.
Zerstörung ganz und gar abscheulich,
Das stolze Reich im Staub versunken.

Arbora, schlau und listig nun,
wusst’ um die Mächte der Natur,
ward bekannt mit Wesen aller Welten
und macht sich auf des Drachen Spur.

Arbora war’s, die fand den Schlag,
in dem gar tief der Drache schlief.
Der hässlich’ Wurm in seiner Horte lag,
als fünfe sie zusammenrief.

Zusammen mit den andren Starken
bekämpft sie ihn von Nacht zu Tag.
Bis dann der erste Strahl am Morgen
Zepedoriens Sorgen legen mag.

Mit letzter Kraft vernicht’ sie ihn,
der Wurm auf ewig sollt’ nun ruhn.
Niemand sollt’ der Heimat flieh’n
und anderen dann ein Leid antun.

So kehrte schließlich heim sie dann,
vom Kampf geprägt und hochverehrt.
Auch unruhig, denn in ihrer Brust
war’n Mut und Neugier neu genährt.

So sieht man sie, oft unverhofft,
durch Wälder und durch Städte streifen.
Ihr inn’res Streben treibt sie an,
will so die ganze Welt begreifen.

Denen, die alte Bräuche schätzen,
und jenen die bewahren wollen,
zeigt sie den Weg nach Silberhain.
Das Land der Bäume, Wurzeln, Knollen.
Es soll ihnen neue Heimat sein.

Und ist die Heimat doch bedroht,
durch Feinde, Untier und Gefahr,
so steht sie bei in größter Not,
hell segnend, schützend, wunderbar.

Dann alle hundert Jahre zieht,
von jugendlichem Glanz gekrönt,
sie in die ew’ge Stadt da hin,
wo überall ihr Lobpreis tönt.

Dort hab ich sie dann auch gesehen,
war Gefang’ner ihres Blicks.
Sah im blütenweißen Kleide steh’n:
Arbora, Hüterin des Glücks.


Wie Arbora einst sagte: ,,Verzweifle niemals. Die Tage vergehen wie das im Wind fliegende Herbstlaub, und die Tage kehren wieder mit dem reinen Himmel und der Pracht der Wälder. Aufs Neue wird jedes Samenkorn erweckt, und genauso verläuft das Leben”