Sven Stureson
Die folgenden Ereignisse basieren lose auf den tatsächlichen Begebenheiten.„Niemand hat die Absicht, heute einen Schädel zu spalten.“
- Sven Stureson, wenige Augenblicke, bevor er einen Schädel spaltete.
Die Sonne war bereits seit einigen Stunden untergegangen, sodass die Gänge der Feste nur noch von Fackeln erhellt wurden. Der Jarl Nordholms schritt unentwegt voran, ziellos und still. Seine Gemächer waren verlassen und kalt. So herrschaftlich und pompös sie auch waren, so waren sie doch kein Ort, den der Jarl gerne aufsuchte. Denn was erwartete ihn dort schon? Ein leeres Bett, in welchem Sven Stureson eine weitere einsame Nacht verbringen müsste.
So bevorzugte es der Jarl von Nordholm, die Gänge zu beschreiten, wo er hin und wieder den Wachhabenden begegnete, die ihn freundlich, aber sehr zurückhaltend grüßten. Sie alle wussten um das Schicksal ihres gütigen, aber einsamen Jarls und die Gründe, die ihn jede Nacht stundenlang umherirren ließen.
Nicht immer war Sven Stureson der Jarl von Nordholm und den vereinten Clans des Nordens gewesen. Nein, auch der große und gütige Jarl war einmal nicht viel mehr als der Sohn eines einfachen Bauernpaares gewesen.
Es begab sich zu der Zeit, als ein schreckliches Monster, genannt “der Kraken”, die großen Meere heimsuchte, dass ein junger Bursche mit dem Namen Sven Stureson sich zu Nordholms Feste begab. Sven Stureson war stattlich und von überragender Größe, mit rotem, kurz geschorenen Haar und einem langen Bart, den er stets in aufwendige Muster flocht und mit kostbaren Perlen verzierte. Durch das Leben auf dem Land waren seine Muskeln gestählt und die Axt an seiner Seite hatte er nicht, um damit Bäume zu fällen.
Sven Stureson kam, um dem damaligen Jarl Hildur Erikson seine Dienste anzubieten. Nach nur kurzem Überlegen nahm Erikson den jungen Streiter in seine Dienste und übertrug ihm alsbald immer größere Aufgaben, erwies sich jener doch als fähiger und treuer Untertan. Stureson beendete Unruhen, hielt die verfeindeten Clans des Nordens auf Abstand und trug so sehr dazu bei, dass sich Nordholm von den Härten der vorangegangenen Jahre erholen konnte.
Eines Tages ließ sich der Kraken, das schreckliche Meeresmonster, direkt vor Nordholms Hafen nieder und stürzte das Land in eine tiefe Krise. Das Untier zog etliche Schiffe mitsamt ihrer Besatzung in die Tiefen hinab und brachte so den Handel auf dem Seeweg fast vollkommen zum Erliegen. Auch die Versorgung der Bevölkerung mit frischem Fisch gestaltete sich zunehmend schwierig. So wurde Sven Stureson vom Jarl beauftragt, das Monster zu erlegen, sodass der Handel über die Meere wieder möglich gemacht und Nordholm seinen ursprünglichen Reichtum zurückerlangen würde.
An einem eisigen Tag im Winter, als ein großer Teil des Nordmeers zugefroren war, zog Sven Stureson los. Mit seiner Axt und einem Fleischermesser lief er weit hinaus auf die weiße Fläche und schlug schließlich ein Loch in das dicke Eis. Es dauerte nicht lange, da wurde der Kraken auf ihn aufmerksam und ein wilder Kampf entbrannte. Nur mit seinen bloßen Händen und dem Fleischermesser rang Sven Stureson eine lange Zeit mit dem Untier, bevor er ihm den Todesstoß versetzte. Von oben bis unten mit Krakenblut bedeckt, zerrte Sven Stureson das riesige Untier an seinen Tentakeln über das Eis und präsentierte es dem Jarl von Nordholm.
Die Feier zu Ehren Sven Sturesons dauerte mehrere Wochen, man verlieh ihm den Titel „Roter Kraken“ für seine überaus mutige Tat und im kommenden Frühjahr, als das dicke Eis brach, geriet der Handel wieder in Fahrt und Nordholm erlangte seinen Reichtum zurück.
Der etwas neidische Jarl belohnte Sven Stureson, indem er ihn als Diplomat in den fernen Westen über das große Meer sandte, um die Beziehungen mit den dortigen Völkern zu verbessern und den Handel anzutreiben. Auch hier erwies sich Sven Stureson als ausgesprochen erfolgreich.
Als Stureson wieder in Nordholm weilte, lernte er beim Mittsommerfest die schöne und kluge Maer Sigrunsdottir, Tochter einer reichen Kauffrau, kennen. Die beiden verliebten sich ineinander und alsbald feierten sie Hochzeit.
Das Glück schien Sven Stureson seit jenem Tag, als er den Hof seiner Eltern verlassen hatte um in Nordholm zu dienen, nie im Stich gelassen zu haben und so war es ihm auch weiter hold, als einige Monde später bekannt wurde, dass Maer das erste Kind erwartete.
Doch das Glück konnte nicht ewig währen. Jarl Hildur Erikson hatte nach dem Tod seiner eigenen Frau ein Auge auf die schöne Maer geworfen, doch konnte er sie nicht haben und war nicht halb so erfolgreich und ehrenvoll wie Sven Stureson. Und so bemächtigte sich die Eifersucht des Jarls. Unter einem Vorwand schickte er Sven Stureson wieder in den Westen. Sven Stureson, der bald Vater werden würde, weigerte sich standhaft, abzureisen, doch der Jarl blieb unnachgiebig. Schweren Herzens bestieg Stureson schließlich das Schiff.
Fünfzig Seemeilen von Nordholm entfernt offenbarte sich das wahre Vorhaben des Jarls. Die Besatzung sollte Sven Stureson nicht sicher in den Westen bringen, denn der Jarl hatte sie angeheuert, um den großartigen Krieger umzubringen. Schwer verwundet stürzte Sven Stureson ins Meer und die Kunde über seinen Tod in einem schlimmen Sturm verbreitete sich wie ein Lauffeuer in Nordholm. Der Jarl nahm die schwangere Maer an seinem Hof auf und machte die Witwe zu seiner Frau. Noch tief in Trauer über den Verlust ihres Mannes Sven Stureson, verlor die schöne Maer das gemeinsame Kind. In tiefer Trauer stürzte sie sich schließlich von den gewaltigen Klippen vor Nordholm in den Tod, wusste sie doch nicht, dass Sven Stureson das Attentat überlebt hatte.
Schwer verletzt hatte er es geschafft, die fünfzig Seemeilen zu überwinden und war hoch oben im Norden an die Küste geschwommen, wo ihn einer der Clans aufgenommen und gesund gepflegt hatte. Schon bald nach seiner Genesung wollte er nach Nordholm zurückkehren, um vom Jarl Antworten zu erhalten. Wieso hatte dieser versucht, ihn umbringen zu lassen? Oder waren es gar Verräter gewesen, die nach seinem vermeintlichen Ableben den Jarl angegriffen und entmachtet hatten? Sven Stureson brauchte Antworten und so zog er Richtung Nordholm.
Über den Freitod seiner Frau erzürnt, verlor der Jarl Hildur Erikson jegliche Vernunft. Zu lange nun waren ihm die verfeindeten Clans des Nordens ein Dorn im Auge, zu lange schon sorgten sie dafür, dass Nordholm nicht die Reichtümer der dichten Wälder nutzen konnte. Und so ordnete er in seinem Wahn an, die Steuern empfindlich zu erhöhen und in einen Feldzug gegen die verfeindeten Clans zu ziehen, um sich das Land zurückzuholen, welches der Jarl als sein eigenes beanspruchte.
Auf seinem Weg nach Nordholm erfuhr Sven Stureson, was sich in seiner Abwesenheit zugetragen hatte. Er erfuhr von dem Verrat des Jarls und wie die schöne Maer letztlich ihren einzigen Ausweg in ihrem Tod gesehen hatte. Auch vernahm er Kunde darüber, wie Jarl Erikson eine Armee aufstellte, um den ganzen Norden unter seine Kontrolle zu bringen. Schmerz und Trauer lähmten Sven Stureson nicht, eine lodernde Wut durchfuhr ihn. In Gedanken ganz bei seiner schönen Maer und ihrem Leid, gelang ihm, was vor ihm noch niemandem gelungen war. Er einte die verfeindeten Clans des Nordens und führte sie als starke Front gegen das Heer des Jarls. Kampferfahren von den ständigen Kämpfen und Streitereien, stand das Heer der vereinten Clans dem Jarl unüberwindbar entgegen. Mit Sven Stureson und seiner Streitaxt an vorderster Front, prallten die beiden Heere nur wenige Meilen vor Nordholm aufeinander. Es war ein blutiger, aber auch kurzer Krieg, in welchem Jarl Hildur Erikson sein Leben durch Sven Sturesons schädelspaltende Axt verlor.
Was zurückblieb, war ein müdes Nordholm und eine starkes Heer, das nur einem folgte: Sven Stureson. Trotz des Schmerzes über seinen Verlust, zögerte er nicht und begann unverzüglich mit dem Wiederaufbau von Nordholm. Denn so hätte es sich Maer gewünscht, wäre sie noch am Leben gewesen. Und so kam es am Ende, das Sven Stureson, der Mann, der nach so vielen Jahren der Streitigkeiten endlich Frieden gebracht hatte, zum neuen Jarl von Nordholm erwählt wurde.
Noch heute führt er Nordholm und die gesamten, geeinten Nordlande an. Aber es vergeht kein Tag, an dem der Blick des Jarls nicht hinausgeht zu jenen Klippen, von denen sich die schöne Maer hinabstürzte. Manchmal, so glaubt man, sieht man ihre schöne Gestalt, ihre langen blonden Haare im Wind wehend und einen Blumenreif im Haar, ein Lächeln auf den Lippen, als hätte sie nun endlich Ruhe gefunden. Und so schön ihr Anblick auch für jene sein mag, die ihn erblicken, so wird das Herz des Jarls immer schwer, wenn man ihm davon berichtet. Denn er selbst wird bis zu seinem Ende warten müssen, bevor er in Walhall seine schöne Maer wiedersehen wird.